Fruchtbarkeit bei Krebspatient*innen

Eine Krebsdiagnose ist für die Betroffenen ein tiefer Schock. Auf einmal sieht man sich mit einer lebensgefährlichen Erkrankung konfrontiert, muss sehr viele Informationen und unterschiedliche Eindrücke zur gleichen Zeit verdauen. Für das Thema Fruchtbarkeit scheint da erstmal wenig Platz.

01 Januar 2024
Le cancer et la fertilité

Das weiß auch Urologe Patrick Krombach aus dem Hôpital Robert Schuman Kirchberg (HRS) „Bei einer Krebsdiagnose setzt der menschliche Überlebensreflex ein und dieser lässt wenig Raum für Gedanken an die Familienplanung.“ Dabei hat eine Krebserkrankung, und die Behandlung dieser, sehr weitreichende Konsequenzen für die Fertilität der Patient*innen.

Deshalb ist es wichtig, schon früh das Thema anzusprechen und die Betroffenen zu informieren und Optionen über fertilitätserhaltende Maßnahmen aufzuzeigen. Das passiert aber noch zu selten oder zu spät. „Aus Sicht des oder der Urolog*in ist das Bewusstsein das Wichtigste“, sagt Dr. Krombach, „denn oft gerät das Thema Fruchtbarkeit in Vergessenheit. Doch besonders in dieser Ausnahmesituation ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen, um dieses Thema anzusprechen und die richtigen Schritte zu unternehmen“. Der Rat des Urologen: den Patient*innen Zeit und Raum geben und ihnen mit Empathie begegnen.

Da es in der breiten Bevölkerung wenig Wissen über die Konsequenzen einer Krebserkrankung für die Fruchtbarkeit gibt, kommt es vor allem auf eine kompetente medizinische Beratung an. Die behandelnden Onkolog*innen sollten die Betroffenen an spezialisierte Fachärzt*innen weitervermitteln, damit sie dort über konkrete Schritte informiert werden können. Wie sich eine Krebserkrankung auf das Reproduktionsvermögen auswirkt, unterscheidet sich von Patient*in zu Patient*in, genau wie die Maßnahmen, die es zu ergreifen gilt. 

Dr Patrick Krombach
Dr. Patrick Krombach

Funktion:

  • Urologe im Hôpital Robert Schuman Kirchberg (HRS)
  • Initiator und Koordinator des Prostatakarzinomzentrums HRS

Studien: 

  • Medizinstudium in Paris (Université Pierre et Marie-Curie)
  • Facharzt für Urologie (Ärztekammer Nordbaden)

Eine Krebserkrankung und die Behandlung dieser hat weitreichende Konsequenzen für die Fertilität der Patient*innen

Gynäkologin Caroline Schilling betreut im Centre de Stérilité et Médecine de Reproduction des Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL) Patientinnen, deren Familienplanung durch eine Krebsdiagnose gefährdet ist. Das Onkofertilitätszentrum richtet sich vor allem an junge Mädchen und Frauen unter 40 Jahren, die meist an einem Lymphom, Leukämie oder Brustkrebs erkrankt sind. Für Dr. Schilling gibt es allen voran drei Risikofaktoren bei der Behandlung. Der größte ist ihr zufolge die Art der Therapie. Eine Bestrahlung oder Chemotherapie kann die Wahrscheinlichkeit einer späteren Schwangerschaft enorm verringern. Es kommt jedoch darauf an, welche Mittel während der Chemotherapie verabreicht werden, denn nicht alle wirken sich zwangsläufig auf die Fertilität aus.

Dr Schilling
Dr. Caroline Schilling

Funktion: 

  • Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe mit Schwerpunkt Reproduktionsmedizin im Centre de Stérélité et Médecine de Reproduction des CHL 
  • Leiterin der klinischen Abteilung des Service National de PMA 

Studien: 

  • Abschluss als Doktor der Medizin an der Katholischen Universität Löwen 
  • Facharztausbildung in Gynäkologie und Geburtshilfe an der Universität Lüttich 
  • Zusatzausbildung in Reproduktionsmedizin im Hôpital de la Citadelle in Lüttich 
  • Universitätsdiplom für Sterilitätstherapie im Hôpital Antoine Béclère in Clamart

Eine enge Kooperation zwischen Reproduktionsmedizinern und den Onkologen ist unerlässlich

„Wenn wir die genaue Art und Zusammensetzung der Therapie kennen, können wir die Patientinnen im Vorfeld beruhigen, wenn keine Konsequenzen zu befürchten sind“, so Schilling. Ein weiterer Risikofaktor ist das Alter der Frau. „Eine Chemo mit 38 ist deutlich schlimmer für das Reproduktionsvermögen als mit 25“, sagt Schilling.

Um zu verstehen, wie sich die Therapie auf die Fruchtbarkeit auswirkt, muss man ein wenig ausholen. Im Eierstock befinden sich Follikel, die die ovarielle Reserve bilden. Pro Zyklus reift ein Follikel ganz aus und gibt eine Eizelle frei. Mit zunehmendem Alter wird die ovarielle Reserve jedoch kleiner. Per Ultraschall können die Follikel gezählt werden, wobei alles unter fünf als verringerte Reserve, alles über zwölf als gesteigerte Reserve gilt. Einige Chemotherapien, etwa bei Lymphomen, wirken nur auf die Follikel, die gerade in der Wachstumsphase sind. Dieser Zyklus ist dann gestört, die ovarielle Reserve bleibt aber weitestgehend intakt. Andere Mittel in der Chemotherapie können aber auf die Reserve wirken und so dazu führen, dass der Eierstock nach der Therapie nicht mehr arbeitet.

Gerade weil das Alter hier so eine tragende Rolle spielt, werden normalerweise nur Patient*innen bis 40 Jahre im Zentrum von Dr. Schilling aufgenommen. „Wir hatten auch schon Krebserkrankte über 40 bei uns, denen wir dann mitteilen mussten, dass wir wahrscheinlich nichts mehr für sie tun können, das ist dann eine doppelte Belastung für die Betroffenen“, so die Gynäkologin. Deshalb ist es wichtig, dass schon bei der Diagnose durch den oder die Onkolog*in klar kommuniziert wird, anstatt falsche Versprechen zu machen. 

Der dritte Risikofaktor ist der Zeitrahmen und dieser hängt eng mit den Optionen der Patientinnen zusammen. Wenn das Risiko einer Unfruchtbarkeit besteht, können zum Beispiel Eizellen oder sogar Embryos eingefroren werden.

Fünf Fragen, die sie unbedingt Ihrem Behandlungsteam stellen sollen
  • Kann meine Behandlung mich
    unfruchtbar/zeugungsunfähig
    machen?
  • Gibt es unter andere wirksame
    Therapien, die nicht unfruchtbar
    oder zeugungsunfähig machen?
  • Kann ich vorbeugende
    Maßnahmen ergreifen, um das
    Risiko für Unfruchtbarkeit/
    Zeugungsunfähigkeit senken?
  • Werde ich nach Abschluss der
    Behandlung noch Kinder
    bekommen bzw. zeugen können?
  • Würden Sie mir dazu raten,
    Eizellen oder Sperma für den Fall
    einzufrieren, dass die Behandlung
    mich unfruchtbar/
    zeugungsunfähig macht?

Dafür bedarf es aber Zeit. Bei vielen Brustkrebsdiagnosen hätte man zum Beispiel ungefähr 14 Tage Zeit, um dies vorzunehmen, so Schilling. Wenn aber keine Zeit bleibt, bevor die Krebsbehandlung begonnen werden muss, kann auch Eierstockgewebe operativ entfernt und eingefroren werden. „Oft werden die Patientinnen zu spät oder gar nicht erst zu uns geschickt, um präventiv die Fruchtbarkeit zu erhalten“, sagt Schilling. Die, die vorbeikommen, werden meist ein bis zwei Tage nach der Diagnose vorstellig, hatten Zeit, die Nachricht sacken zu lassen und sich vorzubereiten. „Natürlich ist es paradox im gleichen Atemzug über Tod und Kinderkriegen zu diskutieren, aber wir spenden dadurch auch Hoffnung, weil es um die Zukunftsplanung geht“.  Neben der Entnahme von Eizellen oder Eierstockgewebe, gibt es noch eine weitere Möglichkeit der Prävention. Sogenannte Gonadotropin-Agonisten werden gespritzt, um die Aktivität der Eierstöcke (oder der Hoden beim Mann) herunterzufahren und dadurch die Auswirkungen der Chemotherapie zu minimieren. Man geht davon aus, dass eine reduzierte Aktivität besser vor den Nebenwirkungen der Therapie schützt. Laut Schilling ist diese Methode jedoch nur eine oberflächliche Lösung des Problems, da nur die wachsenden Follikel geschützt werden, nicht aber die Reserve. Ein positiver Nebeneffekt sei jedoch, dass die Monatsblutung während der Chemotherapie ausbleibt.

Letztes Jahr nahmen insgesamt 13 Patientinnen die Dienste von Dr. Schilling und ihren Kolleg*innen im CHL in Anspruch.

 

Im Gegensatz zu Nachbarländern wie Deutschland, sieht die Gynäkologin noch viel Verbesserungsbedarf in Luxemburg. Die Bevölkerung sei unzureichend über die Onkofertilität informiert und die Zusammenarbeit mit den Onkolog*innen sei durch die Pandemie ein wenig ins Stocken geraten. Auch gibt es hierzulande noch keine komplette Kostenübernahme durch die Krankenkasse für gewisse Eingriffe - etwa die Entnahme von Eierstockgewebe, welches per Transporter nach Brüssel gelangt und dort im Uniklinikum behandelt und gelagert wird.

Nachholbedarf sieht auch Schillings Kollege im CHL, Reproduktionsbiologe und Leiter des IVF-Labors Thierry Forges, der sich um die männliche Zeugungsfähigkeit kümmert. Die größte Gefahr lauert für ihn darin, dass viele Patienten gar nicht erst über die Möglichkeit, Sperma einzufrieren informiert werden, bevor sie eine Chemotherapie beginnen, die die Produktion von Spermien reduzieren oder gar stoppen kann. Eine Azoospermie - die Abwesenheit von Spermien im Sperma - kann durchaus Folge einer Chemotherapie sein. Diese wirkt sich auf Zellen aus, die sich sehr schnell spalten. 

Bei der Spermatogenese, also der Bildung von Spermien, sind Stammzellen, die sogenannten Ursamenzellen, involviert, welche sich schnell vermehren, zu Spermien werden und somit die Reserve bilden. Einige Chemotherapien unterbinden diesen Prozess, sodass nach der Behandlung die Spermatogenese gar nicht mehr stattfindet, beziehungsweise nicht mehr so stark. Laut Urologe P. Krombach ist es etwa beim Hodenkrebs wahrscheinlicher, dass Medikamente zum Einsatz kommen, welche sich auf die Fruchtbarkeit auswirken. Gleiches gilt auch für den Prostatakrebs. Vor allem der Einsatz von sogenannten Alkylanzien stellt hier ein großes Risiko dar.

Anders als bei den Frauen, ist das Einfrieren von Sperma recht unkompliziert, hat keinerlei Nebenwirkungen, ist komplett schmerzlos und daher laut T. Forges eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Drei Risikofaktoren der Krebsbehandlung auf die Fertilität der Frauen:

  1. die Art der Chemo/Radiotherapie
  2. das Alter der Frau
  3. der Zeitrahmen der Behandlung
Dr Thierry Forges
Dr. Thierry Forges

Funktion:

  • Reproduktionsbiologe und Laborleiter des IVF-Labors (Nationales Laboratorium für assistierte Reproduktion im CHL) 

Studien:

  • Medizinstudium an der Universität Luxemburg, dann in Nancy (Université de Lorraine)
  • Facharztausbildung in Medizinischer Biologie
  • Universitätsdiplome in angewandter Reproduktionsbiologie, Sterilitätstherapie und medizinischer Gynäkologie (Nancy, Paris XI, Straßburg)
  • Universitätsdoktorat in Zellbiologie und Habilitation à Diriger des Recherches

Bei sehr jungen Patienten sei es etwas komplizierter. Auch P. Krombach stellt fest: „Es ist ein schwieriges Thema, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher samt Eltern vor einem sitzt.“ Es gibt jedoch noch andere schwierige Fälle. Wenn etwa durch Masturbation keine Spermagewinnung mehr möglich ist, können Spermien auch chirurgisch aus dem Hodengewebe entnommen werden. Auch kann es zu moralischen Dilemmas kommen, erklärt Krombach. Es gebe Menschen mit einer gewissen genetischen Veranlagung für Krebs und bei diesen besteht die Chance, dass man die Veranlagung weitergibt an den Nachwuchs. „Diesen Punkt muss man aber nicht sofort ansprechen“, sagt der Urologe, „man kann später immer noch entscheiden, ob man das Sperma benutzen will und wer weiß, was in ein paar Jahren medizinisch alles möglich ist.“

Gerade beim Hodenkrebs gibt es oft einen gewissen Zeitdruck, wenn der Hoden entfernt werden muss. Trotzdem ist es wichtig, dem Patient und seiner Partner*in Zeit zu geben, sich Gedanken über die Familienplanung zu machen. P. Krombach unterstreicht aber, dass ein Eingriff um einen Hoden zu entfernen wenig Auswirkungen auf die Zeugungsfähigkeit hat, wenn keine Chemotherapie im Anschluss stattfindet. Wer sich dazu entscheidet Sperma einzufrieren, kann dies im CHL kostenfrei machen, trotzdem hat Luxemburg laut T. Forges in Sachen Onkofertilität noch viel aufzuholen im internationalen Vergleich. So gebe es bei der nationalen Krankenkasse noch keinen Code für eine solche Maßnahme bei Krebspatienten, weshalb eine Kostenübernahme nicht stattfinden kann.

Aus diesem Grund und um Patienten, die sich dies nicht leisten können, nicht zu benachteiligen, wird im CHL derzeit keine Rechnung für diese Maßnahme zur Erhaltung der Fertilität gestellt.

 

Onkolog*innen, wichtige Rolle bei der Familienplanung

Das Wichtigste, da sind sich alle drei Fachärzt*innen einig, ist aber zunächst eine bessere Aufklärung zum Thema Onkofertilität. Nur weil andere Aspekte der Krebserkrankung dringlicher und schwerwiegender sind, sollte das Reproduktionsvermögen nicht ins Hintertreffen geraten. Onkolog*innen sollten es frühzeitig ansprechen und die zuständigen Stellen mehr kommunizieren, damit die Allgemeinheit den Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Fruchtbarkeit stärker verinnerlicht. Denn das Letzte, was Krebspatienten nach einer bestandenen Therapie gebrauchen können, ist die Erkenntnis, die eigene Familienplanung unnötigerweise riskiert zu haben, weil die nötigen Informationen fehlten.

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